Mit Anderen über die Erkrankung sprechen

Auch für das Umfeld, insbesondere die Familie und nahestehende Freunde stellt die ALS-Erkrankung eines geliebten Menschen eine große Umstellung und Belastung dar. Gefühle wie Trauer, Angst, Hilflosigkeit, Wut und Verzweiflung, aber auch Liebe und Verbundenheit können sehr stark werden.

Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit einem schwer erkrankten Menschen umgehen sollen. Darf man ihn fragen „Wie geht es Dir?“ Soll ich Mitgefühl und auch meine Traurigkeit zeigen (Habe ich vielleicht selbst das Gefühl, das nicht aushalten zu können?), oder lieber so tun, als wäre nichts, den Erkrankten mal auf „andere Gedanken“ bringen?

Diese Unsicherheit birgt das Risiko, dass beide Seiten – Betroffene sowie Mitmenschen – sich zurückziehen, es zu Missverständnissen kommt oder Unausgesprochenes zurückbleibt – schlimmstenfalls bis zum Versterben des erkrankten Menschen.

Es ist für beide Seiten hilfreich, wenn Sie offen mit dem Anderen sprechen: Sagen Sie ihm bzw. ihr, was Sie sich wünschen und was nicht (bezüglich Gesprächen, Besuchen, Unterstützung usw.) und verharren Sie nicht darin, zu hoffen oder erwarten, dass das Gegenüber dies doch merken oder wissen solle – dafür sind wir Menschen einfach zu verschieden. Vielleicht geht es auch Ihnen selbst so, dass Sie sich an einem Tag ein emotionales, offenes Gespräch wünschen und auch mal gemeinsam weinen möchten, sich am anderen Tag jedoch einen Ausflug mit plaudern über´s Wetter wünschen.  

Nicht mit allen Mitmenschen, die Ihnen vor der Erkrankung nahestanden, werden sie es schaffen, einen tragfähigen Umgang miteinander zu finden. Viele Betroffene berichten, es trenne sich die „Spreu vom Weizen“. Auch neue Freundschaften können entstehen oder bisher oberflächliche sich vertiefen. Für die meisten Menschen gilt jedoch, dass zwischenmenschliche Kontakte ein wichtiger Faktor für die eigene Lebensqualität sind und gute Beziehungen zu den Liebsten eine wichtige Quelle für Kraft und Dankbarkeit und damit auch eine Wichtige Unterstützung im Umgang mit der Erkrankung sind. Zugleich können Sie auch anderen Menschen unheimlich viel geben. Denn auch wenn Ihre Kräfte nachlassen, sie einige Aktivitäten nicht mehr ausführen können und vielleicht zunehmend auf Hilfe bei der Bewältigung des Alltages benötigen: Sie bleiben doch der gleiche Mensch, die gleich wertvolle Persönlichkeit, die Anderen mit Liebe, Wärme, Ratschlägen, Humor und einfach Ihrem „Sein“ zur Seite stehen kann!

                Familie / enge Freunde

Insbesondere für Ehepartner, Kinder und enge Freunde bedeutet eine ALS-Erkrankung einen gravierenden Einschnitt: auch ihre Lebenspläne ändern sich, auch sie sind emotional mitbetroffen (siehe hier). Insbesondere in diesen engen Beziehungen, in denen das gegenüber durch die Diagnose auch betroffen ist, empfiehlt es sich, einen engen und offenen emotionalen Austausch zu pflegen. Oft ist die Sorge da, den Anderen mit eigenen Gedanken oder Gefühlen zu belasten und man behält sie lieber für sich – nicht selten wünschen sich dabei insgeheim beide Seiten, mal offen und ehrlich, vielleicht auch begleitet von Tränen der Trauer, über die Themen zu sprechen, die einen bewegen. Nur, wenn Sie einen engen Austausch pflegen, können Sie Entscheidungen über die Zukunft (z.B. Durch wen möchte ich wo betreut und ggf. gepflegt werden? Möchte ich Maßnahmen zur Ernährung und Atemunterstützung in Anspruch nehmen? Möchte ich in einem Notfall nochmal ins Krankenhaus? Wo möchte ich sterben? Vielleicht sogar: Wie möchte ich bestattet werden?) gemeinsam und im beiderseitigen Einvernehmen oder Einverständnis treffen. Zudem sind nahe Angehörige oft in die Pflege und Betreuung involviert. Um eine Überforderung, vielleicht mit gesundheitlichen Folgen, zu vermeiden, ist es auch in diesem Punkt hilfreich, miteinander zu besprechen, was zu leisten sich der/die Angehörige im Stande sieht und was nicht. Die meisten Menschen möchten am liebsten nur von ihren Angehörigen betreut und gepflegt werden und tun sich schwer damit, professionelle Hilfe hinzuzuziehen. Jedoch bietet die Entlastung der Angehörigen auch die Chance, dass die Beziehung stärker auf einer anderen Ebene, jenseits von Pflege und Betreuung stattfinden kann, weil der Andere so mehr Kraft und Zeit dafür hat.

Wenn Sie Probleme oder Konflikte in den Beziehungen mit nahestehende Menschen haben, die sie alleine nicht lösen können, holen Sie sich Hilfe und wenden Sie sich an eine Beratungsstelle, z.B. des Malwina e.V..

               Kinder

Mit Kindern über eine lebensverkürzende Erkrankung zu sprechen, welche ein Großeltern- oder sogar Elternteil betrifft, gehört für viele zu den schwierigsten Aufgaben. Viele Erwachsene scheuen sich, offen und ehrlich zu sprechen, möchten die Kinder beschützen und alles Belastende von Ihnen fernhalten. Eine ALS-Erkrankung beeinflusst jedoch zwangsläufig die ganze Familie, Kinder werden – je nach Alter – unterbewusst spüren oder explizit mitbekommen, dass sich etwas ändert und auch starke Emotionen im Raum stehen. Spricht dann niemand mit ihnen, sind sie beunruhigt, können mit Verhaltensänderungen wie Rückzug oder Aufsässigkeit reagieren oder vermuten womöglich noch, was auch immer gerade schiefläuft, sei ihre Schuld. Deswegen gilt auch an dieser Stelle: stehen Sie Kindern als Gesprächspartner zur Verfügung. Wenn Sie sich selbst nicht dazu in der Lage sehen, sorgen Sie dafür, dass das Kind einen Ansprechpartner in der Familie, im Freundeskreis, unter den Lehrern oder Erziehern oder einen Therapeuten hat, der für alle Sorgen, die das Kind bewegen, zur Verfügung steht.

Falls Ihr Kind konkrete Fragen zur Erkrankung hat gilt als Faustregel: "Ich muss nicht alles sagen, was ich weiß, aber alles, was ich sage, muss stimmen." Kinder spüren sofort, wenn Erwachsene nicht die Wahrheit sagen. Und beantworten Sie nur die Fragen, die ihr Kind auch selbst stellt oder die es offenkundig umtreiben, um es nicht mit einem „zu viel“ an Informationen zu überfordern. Und auch, wenn es für Sie selbst auch eine extrem schwere Zeit ist: konzentrieren Sie sich darauf, Ihrem Kind so viel Aufmerksamkeit, Liebe und Nähe zu geben, wie möglich. 

Weitere hilfreiche Hinweise finden Sie hier.

Wenn Sie selbst an ALS erkranktes Elternteil minderjähriger Kinder sind, gibt es die Möglichkeit, ein Familienhörbuch aufzunehmen. Sprechen Sie uns hierzu gerne an.

Hospizdienste bieten oft auch Unterstützung speziell für Kinder von lebensverkürzt erkrankten Familienmitgliedern an, auch Trauerarbeit, die speziell auf die Bedürfnisse von Kindern abgestimmt ist (exemplarisch eine Übersicht über die Arbeit des Christlichen Hospizdienstes Dresden hier).

Hilfreiche Telefonnummern speziell für Kinder du Jugendliche finden Sie hier:

               Kollegen/Arbeitgeber

Falls Sie noch im Berufsleben stehen, wird der Tag kommen, an dem Sie Ihre Erkrankung nicht mehr vor Kollegen oder Chefs verbergen können. Es ist Ihre Entscheidung und abhängig von sehr vielen Rahmenbedingungen, ob sie auch mit Einschränkungen so lange weiterarbeiten möchten, wie möglich, oder sich unmittelbar nach Diagnosestellung aus dem Berufsleben zurückziehen. Ebenso ist es Ihre Entscheidung, ob Sie Ihre Kollegen und Chefs darüber informieren möchten, welche Erkrankung bei Ihnen vorliegt. Das müssen Sie prinzipiell natürlich nicht. Sollte es ihnen entweder aus persönlichen Gründen ein Bedürfnis sein, oder aber Sie benötigen spezielle Anpassungen der Tätigkeit oder des Arbeitsplatzes infolge Ihrer Erkrankung, können Sie sich überlegen, ob Sie die Nachricht persönlich oder per Mail oder Post übermitteln wollen. Der Vorteil der schriftlichen Variante ist, dass Sie besser dosieren können, wieviel Emotionen Sie preisgeben möchten, und dass sich Ihr Gegenüber besser auf eine persönliche Begegnung vorbereiten kann – auch weil Sie so die Möglichkeit haben, zu kommunizieren, was Sie sich wünschen, wie mit Ihnen umgegangen wird: Dürfen Kollegen z.B. Fragen zur Erkrankung und dem Befinden stellen, oder wünschen Sie sich, dass dieses Thema bei der Arbeit komplett ausgeblendet wird?

Vielen Menschen sind unsicher und manchmal unbeholfen im Umgang mit schwer erkrankten Menschen – es kann für beide Seiten hilfreich sein, wenn Sie offen über Ihre Befinden und ihre Wünsche an Ihr soziales Umfeld sprechen. Rechnen Sie aber auch mit unangemessenen Reaktionen oder Rückzug einiger Personen, insbesondere im weniger engen Umfeld, und konzentrieren Sie sich auf die Personen, die ihnen gut tun.

(nähere Infos zu beruflicher Teilhabe: z.B. hier)

             Andere Betroffene

In Selbsthilfegruppen oder Chatgruppen in Internet können Sie ihre Erfahrungen teilen und von denen Gleichbetroffener profitieren. Wenn Sie sich vorstellen können, dass dies eine hilfreiche Option für Sie sein könnte, sprechen Sie uns bei Ihrem nächsten Termin an, nutzen Sie das Forum oder die Veranstaltungsangebote der DGM oder vom Verein ALS mobil, die DGM-Kontaktpersonen, oder den von mehreren Selbsthilfevereinen angebotenen digitalen Stammtisch an jedem ersten Donnerstag im Monat. 

             Fremde

Früher oder später werden die Einschränkungen durch die ALS auch für Außenstehende sichtbar oder im Fall von Sprechstörungen hörbar sein. Es kann hilfreich sein, wenn Sie sich überlegen, wie Sie damit umgehen wollen: Wollen Sie eine Mauer errichten und eventuelle Blicke ignorieren, Fragen mit Allgemeinplätzen abtun, oder Ihre Angehörigen instruieren, dass und was sie in diesem Fall für Sie tun sollen? Wollen Sie sich einige erklärende Sätze zurechtlegen, mit denen Sie die Erkrankung erläutern? Vielleicht ergeben sich daraus angenehme, berührende Gespräche und Kontakte.

Manche Betroffene leiden unter Schamgefühlen, z.B. wegen störendem Speichelfluss, der veränderten Sprache oder motorischen Einschränkungen. Sie tragen keine Schuld an diesen Veränderungen, objektiv betrachtet gibt es nichts, wofür Sie sich schämen sollten! Sowohl Unternehmungen als auch ein unter-Leute-gehen können unseren Alltag sehr bereichern und einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität leisten – bitte versuchen Sie, sich da nicht aus den „falschen“ Gründen stärker einzuschränken, als es unumgänglich ist (Ressourcen stärken, seelische Kraft erhalten).