Behandlungsplanung, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung
PatientInnen mit Motoneuronerkrankungen werden meist im Krankheitsverlauf mit Entscheidungen über medizinische Belange konfrontiert, die überlebenskritisch sein können, zum Beispiel Entscheidungen über den Beginn, die Fortsetzung oder Beendigung einer künstlichen Ernährung oder Beatmung.
Entscheidend dafür, welche Maßnahmen begonnen, unterlassen oder abgebrochen werden, ist - neben der medizinischen Indikation und Möglichkeit - Ihr Wille. Jeder Mensch ist anders, jeder hat seine eigenen Werte, Erfahrungen, Ressourcen und Grenzen. Es kommt also darauf an, das Sie ganz persönlich:
1. Verstehen, welche Maßnahmen in Frage kommen, welche Vorteile, Risiken und Grenzen diese haben, was das ganz genau praktisch bedeutet (Anlage und das Leben im Alltag) - Wir beraten Sie hierzu gerne! Zum Beispiel ist es wichtig zu verstehen, dass Atemunterstützung und Magensonde nicht (nur) das Ziel haben, das Leben zu verlängern, sondern auch dazu beitragen können, belastende Symptome zu lindern und somit die Lebensqualität zu verbessern. Was passiert eigentlich, wenn ich Luftnot bekomme, aber nicht beatmet werden möchte?
2. sich Gedanken über Ihre Vorstellungen von Lebensqualität, Würde, Ihre Einstellungen machen; Was ist Ihnen wichtig? Was darf nicht passieren?
3. gemeinsam mit Ihrem behandelnden Arzt/Ärztin bzw. Ihrem Behandlerteam informierte Entscheidungen treffen ("Shared decicion making"). Oft sind dazu widerholte Gespräche nötig, und das ist auch OK so.
Damit Ihr Umfeld - sowohl Familie / Bezugspersonen, als auch das Behandlerteam - Ihre Einstellungen und Wünsche kennt, sind offene, rechtzeitige Gespräche wichtig, auch wenn diese den meisten Menschen schwer fallen und gerne aufgeschoben werden. Doch nur so können Sie vorbeugen, dass in eventuellen Notfällen Entscheidungen gegen Ihren Willen getroffen werden, oder aufgewühlte Angehörige stellvertretend lebenskritische Entscheidungen treffen müssen.
Neben dem Gespräch sind 2 Dokumente wichtig: Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung:
Für PatientInnen mit Motoneuronerkrankungen ist es in jedem Fall ratsam, eine Person des Vertrauens (meist nahe Angehörige) mit einer Vorsorgevollmacht zu betrauen. Sollte die Patientin/der Patient irgendwann im Verlauf persönliche Entscheidungen nicht mehr klar äußern können, sollte die vorsorgebevollmächtigte Person im Sinne des Patienten entscheiden. Die eingesetzte Person darf den PatientInnen bei Behörden, vor Gericht und bei Gesundheitsangelegenheiten vertreten. Es können auch zwei Personen als Vorsorgebevollmächtigte benannt werden.
Die Vorsorgevollmacht legt also fest, wer im Notfall stellvertretend über die genannten medizinischen Belange entscheiden darf. Es ist also ungemein wichtig, dass PatientInnen ihre Wünsche, Einstellungen und Entscheidungen mit ihren Vorsorgebevollmächtigten detailliert besprechen und ihnen diesbezügliche Veränderungen im Krankheitsverlauf mitteilen (z.B. eine Entscheidungsänderung bezüglich einer invasiven Beatmung). Eine Vorlage finden Sie hier:
Gleichzeitig – also auch bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht – ist es sehr wichtig, dass PatientInnen ihre Einstellungen und Wünsche auch schriftlich festhalten, in Form einer Patientenverfügung. In dieser Patientenverfügung sollten die Ziele und die Grenzen medizinischer Behandlungen dargelegt werden. Dies umfasst insbesondere Festlegungen darüber, unter welchen Voraussetzungen lebenserhaltende und lebensverlängernde Maßnahmen (u.a. invasive Beatmung, künstliche Ernährung, Wiederbelebungsmaßnahmen in Notfallsituationen) durchgeführt, aber eben auch unterlassen oder abgebrochen werden (z.B. Beendigung der invasiven Beatmung mit palliativmedizinischer Begleitung).
Die Patientenverfügung legt also fest, was getan werden soll, wenn der/die PatientIn sich selbst nicht mehr äußern oder entscheiden kann. So wird ermöglicht, dass Wünsche und Entscheidungen im Sinne des Patientenwillens erfolgen, auch wenn der Wille zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht direkt kommuniziert werden kann. Auch für Angehörige kann eine aktuelle Patientenverfügung entlastend sein, weil sie so den Wunsch des/des PatientIn kennen. Eine Vorlage und Hinweise zum Ausfüllen finden Sie hier:
Entscheidungen und Einstellungen können sich ändern, dies ist im Krankheitsverlauf der ALS oder anderer Motoneuronerkrankungen nicht selten der Fall. Die Patientenverfügung sollte dementsprechend aktualisiert werden und stets auch mit nahestehenden Angehörigen oder Vorsorgebevollmächtigten besprochen werden.
Auch bei der Erstellung Ihrer Patientenverfügung unterstützen wir Sie gern, sprechen Sie uns dazu bei der nächsten Ambulanzvorstellung an.
Grundsätzlich gilt: Für alle medizinischen Maßnahmen braucht es eine medizinische Indikation UND den Patientenwillen. Der Patientenwille wird in folgender Kaskade ermittelt:
1. aktuell erklärter Wille (immer vorrangig, sofern Patient wach und kommunikationsfähig (wenn auch nur durch Gesten / mit Hilfsmitteln)), wenn nicht möglich:
2. vorausverfügter Wille (= Patientenverfügung, sofern vorhanden), wenn nicht vorhanden:
3. mutmaßlicher Wille (stellvertretend erhoben mit Hilfe des Vorsorgebevollmächtigten, wenn es keine Vorsorgevollmacht gibt im Gespräch mit den Bezugspersonen auf Basis früherer Äußerungen und Wertvorstellungen), wenn nicht möglich:
4. Entscheidung des Behandlerteams zum mutmaßlichen medizinischen Wohl des Patienten, Lebensschutz hat dabei Vorrang.
Weitere Informationen, insbesondere zum Unterlassen und Beendigen medizinischer Maßnahmen finden Sie hier.